Staatlich sanktionierte Sabotage

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Staatlich sanktionierte Sabotage

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Veröffentlicht von info@politogo.de in Klimakrise · 13 Januar 2020
Tags: WindkraftEnergiewendeKlimaNaturschutzUmweltNabu

© Jürgen Lessat

Genüsslich spotteten die Satiriker Max Uthoff und Claus von Wagner vor einiger Zeit in der ZDF-„Anstalt" übers Versagen der Grünen beim Klimaschutz. „Baden-Württemberg hat im letzten Halbjahr nur ein neues Windrad gebaut", kritisierte ein junger Fridays-for-Future-Aktivist (von Wagner) den baden-württembergischen Ministerpräsidenten Winfried Kretschmann (Uthoff). „Sie haben starke Überzeugungen, aber es kommt halt immer etwas dazwischen. Zum Beispiel Windkraftgegner", stichelte der Aktivist unter Gelächter des Publikums.

Was als Spaß daher kommt, ist realer Ernst. Nicht nur im grün regierten Südwesten: Bundesweit bekämpfen Dutzende Verbände und rund 1000 Bürgervereine die Windenergie. Sobald Pläne für einen neuen Windpark bekannt werden, regt sich Widerstand. Die Argumente von Initiativen wie „Vernunftkraft", „Gegenwind" oder „Windwahn" gleichen sich. Glaubt man ihnen, dann bereichert sich eine „profitgierige Windkraftindustrie" auf Kosten aller, macht Menschen „krank durch Infraschall", zerstört intakte Wälder, verspargelt unberührte Landschaften, schreddert seltene Vögel.

Objektives, etwa die strengen Auflagen bei Arten-, Natur- und Landschaftsschutz, bleibt auf der Strecke. Stattdessen haben Fake News und Verschwörung Hochkonjunktur. Windkraft leistet „nachweislich keinen Beitrag zum Klimaschutz", behaupten die Gegner beispielsweise. Tatsächlich vermieden laut Umweltbundesamt (Uba) erneuerbare Energien im Stromsektor im Jahr 2018 insgesamt 144 Millionen Tonnen CO2-Äquivalente. Allein die Windenergie ersparte dem Klima 76,3 Millionen Tonnen an Treibhausgasen.


Bislang begnügten sich organisierte Windkraftgegner mit Webseiten, Plakaten, Kundgebungen und Leserbriefen, Stimmung in ihrem Sinne zu machen. Seit kurzem schwappt zusätzlich eine Prozesswelle durchs Land: Immer mehr Windparks landen vor Gericht. Laut einer Umfrage der Fachagentur Windenergie an Land (FA Wind) werden deutschlandweit derzeit mindestens 325 Windturbinen mit mehr als 1000 Megawatt (MW) Leistung (entspricht der eines Atomkraftwerks) beklagt. Davon sind knapp 100 Anlagen bereits in Betrieb. Tatsächlich dürften noch mehr Turbinen vor dem Kadi stehen, da die Umfrage nur eine Stichprobe abdeckt.

Dennoch ist sie aufschlussreich. So steht Windenergie besonders in Bayern und Hessen im Visier, wo fast jedes zweite genehmigte Windrad ein Fall für die Justiz ist. Laut FA Wind sind die häufigsten Klagegründe im Artenschutz verortet. Bei der Hälfte aller betroffenen Windräder werden Verstöße gegen den Schutz von Vögeln und Fledermäusen angeführt. Die Umfrage verrät auch, wer sehr oft die Ankläger sind: Umwelt- und Naturschutzverbände. Sie prozessieren gegen 198 Anlagen.  Vor Gericht ziehen aber auch Bürgerinitiativen. Laut FA Wind führen sie gegen 47 Anlagen Verfahren. Auffallend: Einige Verbände und Initiativen beklagen nicht nur Windräder in ihrem regionalen Umfeld, sondern greifen Windparks bundesweit an.

Klagen im Namen anderer sieht unser Rechtssystem eigentlich nicht vor. Eine Ausnahme ist die sogenannte Verbandsklage. Diese können Vereinigungen anstrengen, die nach Paragraf 3 des Umwelt-Rechtsbehelfsgesetzes als Umwelt- oder Naturschutzorganisation anerkannt sind. Die Prüfung entsprechender Anträge haben sich Bund und Länder aufgeteilt. Das Umweltbundesamt (Uba) ist zuständig für inländische Vereinigungen, die länderübergreifend tätig sind. Die Landesbehörden prüfen Anträge von Organisationen, deren Wirkkreis auf das jeweilige Bundesland begrenzt ist. In Baden-Württemberg ist dafür das Umwelt- und Energieministerium von Franz Untersteller (Grüne) zuständig.

Uba und Länder pflegen Listen der anerkannten Vereinigungen. Neben bekannten Namen wie BUND und Nabu stehen dort auch immer mehr Vereine, die sich mehr oder weniger offen als Windkraftgegner zeigen. So erkannte das Uba etwa die „Bürgerinitiative Gegenwind Flörsbachtal", „Gegenwind Bad Orb" und die „Bürgerinitiative: Windkraft im Spessart – In Einklang mit Mensch und Natur" als klageberechtigt an. Kurz nach dem Uba-Bescheid gingen letztere im Juli 2018 gerichtlich gegen den Windpark Flörsbachtal-Roßkopf im hessischen Teil des Mittelgebirges vor. Im Februar 2019 schoben die Initiatoren den Appell „Die Einzigartigkeit des Naturparks Spessart erhalten!" nach. Diesen unterschrieb unter anderen Fritz Vahrenholt, Vorstand der Deutschen Wildtier Stiftung (DWS) in Hamburg, die mit finanzieller Unterstützung des Kohlekonzerns RWE Windenergie in Wäldern bekämpft, wie frühere Recherchen des Autors ergaben.

Zu den Unterzeichnern des Appells gehört auch Johannes Bradtka, Vorsitzender des VLAB. Der Verein aus dem oberpfälzischen Erbendorf wurde im Juli 2015 durch den Freistaat Bayern als Umwelt- und Naturschutzvereinigung anerkannt. Im Januar 2019 erfolgte die bundesweite Anerkennung durch das Uba. Die Klagen des VLAB richten sich in erster Linie „gegen die Auswüchse der Energiewende", wie es auf der Homepage heißt. „Insbesondere der Bau und Betrieb von Windrädern in Wald und Kulturlandschaften schaffen den Charakter eines Industrieraumes und schädigen deren Biodiversität, den Erholungswert und die landschaftsästhetische Funktion", beschreibt die Satzung, was man darunter versteht.

Windkraft Gegner
Hinweise auf das Gedankengut der Mitglieder finden sich auf der Facebook-Seite des Vereins. So wird dort etwa das Bevölkerungswachstum in Asien und Afrika als eine der „Hauptursachen des Klimawandels und Artensterbens" benannt. Nach dem türkischen Einmarsch in Syrien wurde der Fridays-for-Future-Bewegung „Realitätsverlust" unterstellt: „Während unschuldige Menschen verstümmelt, getötet und vertrieben werden, demonstriert FFF für eine vegane Lebensweise und gegen Flugreisen." Der nordkoreanische Diktator Kim Jong-un wird als vermeintliches Vorbild gepriesen.

Am VLAB zeigt sich, wie vernetzt die Windkraftgegner sind. Zu den institutionellen Mitgliedern des bayerischen Vereins zählt die „Bundesinitiative Vernunftkraft“. Umgekehrt ist der VLAB Mitglied der Berliner Initiative, die sich mit regionalen Ablegern als Dienstleister für lokale Bürgerinitiativen im Kampf gegen Windparks versteht. Vor kurzem enthüllte die „Tageszeitung“, dass der Vernunftkraft-Vorsitzende Nikolai Ziegler im Bundeswirtschaftsministerium arbeitet - zeitweise als persönlicher Referent des parlamentarischen Staatssekretärs Thomas Bareiß. Der CDU-Politiker betreut unter anderem die Abteilung „Energiepolitik – Strom und Netze“, in der Windkraft regelmäßig ein Thema ist.

Vernunftkraft entsendet Vortragsredner auch an die „Naturschutz-Initiative“ (NI) aus dem Westerwald, die wie erwähnt ebenfalls zum exklusiven Kreis der Verbandskläger gehört. „Wir geben den Themen, die im derzeitigen 'Mainstream' und in der öffentlichen Berichterstattung durch eine verengte und ideologisch gefärbte 'Klimaschutzpolitik' kaum noch vorkommen, wieder mehr Raum", heißt es im besten Populisten-Sprech auf der NI-Homepage. Der Verein, 2015 von Harry Neumann gegründet, einem einstigen BUND-Vorsitzenden in Rheinland-Pfalz, arbeitet ebenfalls mit der Deutschen Wildtier Stiftung zusammen.

„Neumann hatte sich damals völlig unkritisch zum Zugpferd der radikalen Windkraftgegner aufgeschwungen und dadurch den Landesverband gespalten", erinnert sich Egbert Bialk, BUND-Kreisvorsitzender in Koblenz. Auf Druck der Basis musste Neumann den Landesvorsitz abgeben. „Seitdem stellt er sich als Opfer einer Verschwörung der 'Windindustrielobby' dar", so Bialk. In windkraftkritischen Berichten tritt der NI-Chef seither oft als „Experte gegen Windkraft" auf.

Behörde steht zu den Anerkennungen
Das Uba steht auf Anfrage zur Anerkennung von Vereinen wie VLAB und NI. Zwar sei die Prüfung „teilweise nicht einfach, weil die Vereinigungen im Bereich eines Zielkonfliktes zwischen unterschiedlichen Umweltschutzinteressen – nämlich Klimaschutz versus Naturschutz- und Landschaftsinteressen – agieren", so ein Sprecher. Zum Zeitpunkt der Anerkennung bestand „nach den uns vorliegenden Informationen kein Zweifel an einer sachgerechten Förderung von Umweltschutzzielen". Man prüfe, wie er betont, „sehr genau, ob eine Vereinigung tatsächlich als Sachwalterin von Umweltschutzinteressen auftritt und beispielsweise sachgerecht Umweltbelange in ein Zulassungsverfahren einbringt".

Auch beim jüngsten, vom Stuttgarter Umweltministerium anerkannten Verein beschreibt dessen Satzung das hehre Ziel, „die herausragende Landschaft und Natur des Schwarzwaldes in ihrer Eigenart und Schönheit zu erhalten, die hier lebenden Pflanzen- und Tierarten zu schützen und den Wohn- und Erholungswert zu bewahren“. Im brandneuen Internetportal der Landschafts- und Naturschutzinitiative Schwarzwald (Lana) aus St. Märgen illustrieren schöne Tier- und Landschaftsbilder neben wohlfeilen Worten die gute Absicht. Nur ein Handlungsfeld wird konkret benannt: Windkraftanlagen zu verhindern, da es durch deren Bau „zur Tötung geschützter Tiere, Habitatsverlust, Störung von Brut- und Nahrungsrevieren sowie Zerschneidung von Lebensräumen kommt“.

Förster und Wissenschaftler sind sich dagegen einig, dass es der Klimawandel ist, der dem Schwarzwald zu schaffen macht. Baumbestände, die im Dürresommer 2018 nicht sofort den Trockentod starben, waren teilweise so geschwächt, dass Schädlinge wie der Borkenkäfer ganze Arbeit leisteten. Stürme und Schneebruch sorgten zusätzlich für Verwüstungen. Die globale Erwärmung und ihre dramatischen Folgen hierzulande spielen für die Lana, die laut früheren Aussagen von Gerhard Bronner, Vorsitzender des angesehenen Landesnaturschutzverbands, ein Sammelbecken „fanatischer Windkraftgegner" ist, keine Rolle.

„Allein die Tatsache, dass eine Vereinigung sich gegen den Bau von Windkraftanlagen ausspricht, ist kein Kriterium für eine Ablehnung der Anerkennung", erklärt Ralf Heineken, Sprecher des Stuttgarter Umweltministeriums auf Nachfrage. Auch bewerte man nicht die Argumente, die die Vereinigung gegen deren Bau vorbringt. Zu den 16 Lana-Regionalgruppen gehört die Initiative „Arten- und Landschaftsschutz Länge-Ettenberg" im Schwarzwald-Baar-Kreis. Sie kämpft seit Jahren vehement gegen die geplanten Windparks Länge und Blumberg. So verbissen, dass sich Umweltminister Untersteller im vergangenen Jahr veranlasst sah, in einem offenen Brief an die BI auf die Rechtsstaatlichkeit der Genehmigungspraxis hinzuweisen.

Heute würde der Minister den Brief wohl nicht mehr versenden. Denn im vergangenen März gingen beim Verwaltungsgericht Freiburg zwei Eilanträge gegen die beiden Windparks ein. Der Absender: Harry Neumanns Naturschutz-Initiative aus dem Westerwald. Das Gericht verhängte daraufhin wegen möglicher Fehler im Genehmigungsverfahren einen Baustopp für beide Projekte. Eine endgültige Entscheidung will es in einem noch laufenden Hauptsacheverfahren treffen. Dagegen haben Land und Betreiber beim Verwaltungsgerichtshof in Mannheim Rechtsmittel eingelegt. Auch diese Entscheidung steht noch aus.

Bis heute haben weder Umweltbundesamt noch Stuttgarter Umweltministerium einer anerkannten Umwelt- oder Naturschutzvereinigung das Verbandsklagerecht wieder entzogen.

Hinweis: Der Text wurde in dieser Form im Magazin "neue energie" 1/2020 veröffentlicht. Nach Redaktionsschluss bestätigte der baden-württembergische Verwaltungsgerichtshof (VGH) am 19.12.2019 den Baustopp für Windparks Länge und Blumberg sowie vorläufiges Rodungsverbot für Windpark Blumberg. Das Hauptsacheverfahren am Landgericht Freiburg ist noch offen.





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