Staatlich gefördertes Klima-Desaster

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Staatlich gefördertes Klima-Desaster

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Veröffentlicht von Jürgen Lessat in Mobilität · 31 März 2021
Tags: PlugIn
Glaubt man den Werbespots, sind Plug-In-Hybride vor allem eins: nachhaltig. Fast jeder Hersteller bemüht das Adjektiv, um die Fahrzeuge, die neben einem herkömmlichen Verbrennungsmotor über einen elektrischen Antrieb verfügen, an Frau oder Mann zu bringen. Mit Erfolg: laut Kraftfahrtbundesamt (KBA) wurden im Jahr 2020 insgesamt 200.469 PHEVs (Plug-in Hybrid Electric Vehicle) neu zugelassen. Im Vergleich zum Vorjahreszeitraum eine Steigerung um 342,1 Prozent. Damit erfreuten sich die Antriebszwitter höherer Nachfrage als rein batteriebetriebene Elektroautos (BEV). Von diesen kamen 194.163 Fahrzeuge neu auf die Straße, ein Zuwachs von 206,8 Prozent gegenüber dem Vorjahr. Benzinbetriebene Pkw mussten in 2020 hingegen ein Minus von 36,3 Prozent und Diesel-Pkw ein Minus von 28,9 Prozent hinnehmen. Über alle Antriebsarten hinweg wurden im vergangenen Jahr rund 2,9 Millionen Neuwagen zugelassen.

Den Run auf PHEVs beförderte das im Juni 2020 von der Berliner GroKo aufgelegte Konjunkturpaket „Corona-Folgen bekämpfen, Wohlstand sichern, Zukunftsfähigkeit stärken“. Mit einer Reihe von Maßnahmen soll es die Mobilität stärken und zugleich für mehr Nachhaltigkeit und Klimaschutz im Verkehrssektor sorgen. Käufer von neuen oder jungen gebrauchten Elektroautos erhalten bis Ende 2021 zusätzlich zum bereits davor gewährten Umweltbonus eine Innovationsprämie. Bei Zulassung eines PEHVs, das wie ein BEV als E-Auto gilt, fließen bis zu einem Nettolistenpreis 40.000 Euro stolze 6.750 Euro. Kostet das Fahrzeug nicht mehr als 65.000 Euro, gibt es mit 5.625 Euro etwas weniger. Je zwei Drittel zahlt der Bund, ein Drittel die Hersteller.

Doch damit nicht genug: Als zweite Fördermaßnahme ist die steuerliche Bemessungsgrundlage für den geldwerten Vorteil von Dienstfahrzeugen für PHEV auf 0,5 halbiert. Plug-In-Hybride sind damit für Unternehmen wie Mitarbeiter attraktiv. Einzige Voraussetzung: die Batterie darf unter Laborbedingungen erst nach 40 Kilometern schlapp machen. Ab 2022 muss die elektrische Reichweite 60, ab 2025 mindestens 80 Kilometer reichen. Nur BEVs werden mit 0,25 Prozent des Bruttolistenpreises günstiger besteuert. Bei konventionellen Dienstfahrzeugen bleibt es beim Steuersatz von einem Prozent.

Gute Nachrichten für das Klima also? Mitnichten, kritisieren Umweltverbände. Denn während offizielle Angaben minimalen Sprit- und Stromverbrauch verheißen, überführten Tests unter Realbedingungen PHEVs als klimaschädliche Schluckspechte. Das Emissions-Kontroll-Institut (EKI) der Deutschen Umwelthilfe (DUH) maß im vergangenen Sommer bei vier Plug-Ins (Mercedes A250 e, Porsche Cayenne E-Hybrid, Volvo XC40 T5, Volvo XC90 T8) dramatische Überschreitungen der offiziellen CO2-Werte – in der Spitze um mehr als 600 Prozent. So übertraf der Porsche im Fahrmodus Sport Plus mit 499 Gramm CO2/km den EU-Flottengrenzwert (95 g CO2/km seit 2021) um mehr als das Fünffache. Auf dem Papier emittiert der Sportwagen kombiniert 58 und 56 g CO2/km.

„Fünf Jahre nach Dieselgate zeigt die Autoindustrie, dass sie ihr ‚Schaufahren gegen den Klimaschutz‘ unvermindert fortsetzt“, sagt DUH-Geschäftsführer Jürgen Resch. Ein absurdes Labortestverfahren führe zu extrem niedrigen offiziellen Verbrauchs- und CO2-Werten. Auf der Straße lägen die Emissionen der meisten Plug-In-Hybride dagegen weit über denen vergleichbarer Verbrenner-Pkws, wittert er einen neuen Abgasskandal: „Wie kann ein solcher Unsinn noch staatlich gefördert werden!“

Mit ihrer Kritik steht die DUH nicht allein. „Plug-In-Hybride sind nachweislich umweltschädlicher als behauptet. Selbst bei Fahrtantritt mit voller Batterie“, meldete im November 2020 auch Transport & Environment (T&E). Der Dachverband europäischer Umweltverbände hatte drei PHEV-SUVs im Realbetrieb wie auch unter den offiziellen Laborvorgaben untersuchen lassen. Getestet wurden ein BMW X5, Volvo XC60 sowie Mitsubishi Outlander. Letzterer ist einer der beliebtesten PHEVs weltweit. Die Ergebnisse bestätigen, dass die Angaben der Hersteller realitätsfern sind: Die CO2-Emissionen der drei Autos lagen bei voller Batterie und unter optimalen Testbedingungen um 28 bis 89 Prozent über den Herstellerangaben. Sobald die Fahrzeuge allein im Verbrennungsmodus unterwegs waren, stiegen die Emissionen bis zum Achtfachen des offiziellen Werts an. Im Charge-Modus, wenn der Verbrenner die Batterie während der Fahrt lädt, lag der CO2-Ausstoß sogar um das Drei- bis Zwölffache über dem Prospekt. Gerade dies wertet T&E als besonders problematisch. Denn immer mehr PHEV-Modelle bieten ein GPS-gestütztes Fahrprogramm, das ein Fahrzeug gezielt auflädt, bevor es eine Umweltzone befährt. Die gute Absicht, innerstädtisch abgasfrei zu fahren, wird außerorts durch extrem hohe Emissionen konterkariert.    

Einzelne Studien und Stellungnahmen zum Plug-in-Hybride nehme man „selbstverständlich zur Kenntnis“, betont das Bundeswirtschaftsministerium auf Anfrage. Im Detail will sich Ressortchef Peter Altmaier (CDU) zu den alarmierenden Ergebnissen nicht äußern. Eine Sprecherin betont nur, dass der Realverbrauch bei Plug-in Hybriden deutlich stärker durch das Nutzer- und Ladeverhalten beeinflusst werde: „Darauf sind die im Vergleich zu anderen Antriebstechnologien größeren durchschnittlichen Abweichungen des Realverbrauchs zum Messwert nach WLTP-Zyklus zurückzuführen.“ Bei entsprechendem Nutzungsprofil seien die WLTP-basierten Verbrauchswerte jedoch zu erreichen, verweist sie auf „Auto Motor und Sport“. Im August 2020 hatte das Magazin unter der Überschrift „Die 10 größten Irrtümer über PHEVs“ einen Skoda Superb iV getestet. In einem speziellen Fahrprofil - zwei Drittel Kurzstrecke und ein Drittel Langstrecke – wurden die WLPT-Werte des Modells (1,4 l/ 16,4 kWh/100 km) fast exakt erreicht. „Der genannte Test zeigt, dass PHEVs dadurch fast immer sparsamer sind als die jeweilige nicht hybridisierte Modellvariante“, behauptet Altmaiers Sprecherin. Dass sich das gleiche Modell in einem früheren Versuch des Magazins im reinen Elektrobetrieb 21,9 kWh/100 km und im Verbrennermodus mit leerem Akku 7,4 l Benzin/100 km genehmigte, erwähnt sie nicht.


SUV-Plug-In-Panzer von Citroën: nur bedingt klimafreundlich
Dabei scheint die Bundesregierung dem hybriden Abgaswunder selbst nicht zu trauen. Denn mit dem Corona-Konjunkturpaket beauftragte sie die Nationale Plattform Zukunft der Mobilität (NPM), „Empfehlungen zum optimierten Nutzungsgrad“ von Plug-in-Hybriden zu untersuchen. Im vergangenen Oktober legte die „PHEV-Taskforce“ ihren Bericht vor. Die Resonanz darauf blieb aus – obwohl er die harsche Kritik der Umweltverbände größtenteils bestätigt und die bisherige Förderpolitik in Frage stellt.

Demnach steht und fällt der Klimanutzen mit den Fahranteilen, „um die technologischen Vorteile und die entsprechenden Umweltvorteile auszuspielen“, heißt es in dem Bericht. Laut Taskforce besteht eine „PHEV-/fördergerechte Nutzung“ erst ab einem Anteil elektrischer Fahrleistung von 50 Prozent. Auf welcher Basis die 16-köpfige Expertenrunde aus Industrie- und Umweltlobbyisten diesen „Grenzwert“ definierte, wird freilich nicht näher erläutert. „Da gilt das Pi-mal-Daumen-Prinzip“, so ein Mitglied gegenüber „Neue Energie“.
Die Gretchenfrage lautet also, wie Stecker-Hybride hierzulande bewegt werden. Die Antwort bekam die Taskforce vom Fraunhofer-Institut für System- und Innovationsforschung ISI in Karlsruhe, das Studien zu Fahranteilen von PHEVs auswertete. Diese spiegeln zwar die reale Nutzung von über 100.000 Fahrzeugen wider. Doch es liegen vor allem Zahlen zu privat genutzten Plug-in-Hybriden vor. Mit etwas über 10.000 Datensätzen deutlich weniger zu Dienst-PKW. Die deutsche Stichprobe umfasst sogar nur 1.385 Privatfahrzeuge und gerade mal 72 Firmenwagen. Das reiche dennoch, um „Muster zu erkennen und Schlussfolgerungen zu ziehen“, so ISI-Studienautor Patrick Plötz.

Demnach sind beide Nutzergruppen derzeit alles andere als „fördergerecht“ unterwegs. Bei Privat-Plug-in-Hybriden liegt der mittlere reale elektrische Fahranteil bei 43 Prozent. Dienstwagen werden sogar nur zu 18 Prozent elektrisch bewegt. Die ISI-Studie bestätigt zudem die Kritik der Umweltverbände, dass die realen Kraftstoffverbräuche und CO2-Emissionen von PHEV zwei bis viermal höher als in den offiziellen Testzyklen sind. Der Grund: Im WLPT-Testzyklus für die Typzulassung eines PHEV wird bei der Berechnung der CO2-Emissionen bereits bei geringen elektrischen Reichweiten ein hoher elektrischer Nutzungsanteil unterstellt. Damit werden die CO2-Emissionen im Vergleich zur realen Nutzung deutlich unterschätzt, betont die ISI-Studie.

Damit Plug-in-Hybride mehr elektrisch fahren, seien Anreizmechanismen und Förderinstrumente umzugestalten, sagen alle Mitglieder der Taskforce. Über das „Wie“ herrscht Uneinigkeit. Ein Teil plädiert für ein „Weiter so“. Sprich, die komplette Kaufprämie ohne Wenn und Aber zu überweisen. Die anderen befürworten eine teilweise Auszahlung nach Zulassung, den Rest nur nach Nachweis eines elektrischen Fahranteils von mindestens 50 Prozent. Auch die Dynamisierung der Dienstwagenbesteuerung blieb umstritten. „Breiter Konsens“ herrschte lediglich über ein zeitnahes Monitoring, um das Nutzungsverhalten genauer zu erfassen. Die Dauer -  ein oder zwei Jahre – blieb umstritten. „Plug-in-Hybride sind wichtiger Beitrag zum Klimaschutz“, überschrieb der Verband der Automobilindustrie (VDA) eine Pressemeldung zum uneinigen Ergebnis der NPM-Expertengruppe.

Mit Agora Verkehrswende verlangte nur ein Mitglied der PHEV-Taskforce, Innovationsprämie und Umweltbonus sofort zu staffeln. „Die Auszahlung der Förderung ist verbindlich an den Nachweis des elektrischen Fahranteils zu koppeln. Das Gleiche sollte auch für die steuerliche Begünstigung von PHEV als Dienstwagen gelten“, betont Christian Hochfeld, Direktor der Berliner Denkfabrik. Das bisherige Fördermodell sende falsche Signale an Hersteller und Käufer. „Wenn wir nicht umsteuern, geben wir viel Steuergeld aus, bekommen dafür aber nicht die in Aussicht gestellten Emissionsminderungen“, so Hochfeld.

Dabei droht der Verkehrssektor die Klimaschutzziele 2030 weit zu verfehlen. Nach amtlichen Gutachten droht eine Lücke von etwa 33 Millionen Tonnen CO2- Äquivalente. Der weitere Markthochlauf von Plug-in-Hybridfahrzeugen könnte diese noch vergrößern, warnt eine aktuelle Studie von ifeu - Institut für Energie- und Umweltforschung, Öko-Institut und „Transport & Environment“ im Auftrag des Bundesumweltministeriums. Denn in den bisherigen Szenarien sind Plug-in-Hybride mit den niedrigen WLPT-Emissionswerten berücksichtigt. Unterstellt ist auch, dass die Fahrzeuge bis 2030 zu 75 Prozent emissionsfrei unterwegs sind. „Unsere Berechnungen zeigen, dass wir von bis zu 4,3 Millionen Tonnen zusätzlichen CO2-Emissionen im Jahr 2030 für den Verkehrssektor durch Plug-in-Hybride ausgehen müssen, wenn die elektrischen Fahranteile so niedrig bleiben wie heute“, so Ruth Blank vom Öko-Institut. „Aus umweltpolitischer Sicht sollte die Förderung aus Kaufprämie und Steuervorteilen für PHEVs dringend überprüft werden“, fordert Studienleiter Julius Jöhrens vom ifeu.

Auf Anfrage betont das federführende Verkehrsministerium, dass der Taskforce-Bericht allen beteiligten Ressorts bereits mit der Bitte zugeleitet wurde, die Empfehlungen zu prüfen und entsprechende Umsetzungsmaßnahmen einzuleiten. „Der Monitoring-Prozess ist bereits gestartet“, lässt Verkehrsminister Andreas Scheuer (CSU) mitteilen. In dessen Rahmen werden Verbrauchsdaten erhoben und Nutzer befragt. Ist also mit einer zeitnahen Reform der Förderinstrumente zu rechnen, die zu mehr elektrischen Fahranteilen bei Plug-in-Hybriden führt? „Die Auswertung des Monitorings wird entsprechend der Empfehlungen der NPM die Jahre 2021 und 2022 umfassen und die benötigte empirische Grundlage für eine Anpassung der Rahmenbedingungen liefern“, so Scheuers Sprecher. Das ist ganz im Sinne der Automobilindustrie. „Erst 2023 liegen ausreichend Daten für eine belastbare Analyse der Nutzungsdaten vor“, hatte VDA-Präsidentin Hildegard Müller umgehend nach Veröffentlichung des Taskforce-Berichts im vergangenen Herbst auf die Bremse gedrückt.

Abgase schön gerechnet

Für die Typzulassung neuer Pkw gilt EU-weit seit September 2017 das Testverfahren „Worldwide Harmonized Light-Duty Vehicles Test Procedure“ (WLTP) in Nachfolge des NEFZ (Neuer Europäischer Fahrzyklus). Mit der Umstellung von NEFZ auf WLTP hat sich auch das Prüfverfahren für PHEV geändert. Bei der Berechnung der CO2-Emissionen eines Fahrzeugs wurde ein „Utility Factor“ (UF, zu deutsch: Nutzenfaktor) eingebracht. Der UF repräsentiert den Anteil der Fahrten, die elektrisch zurückgelegt werden. Bei einem reinen E-Fahrzeug gilt ein UF von 100 %, bei einem klassischen Verbrennungsmotor beträgt der UF 0 %. Bei einem Plug-in-Hybrid steigt der UF mit dessen elektrischer Reichweite. Der Gesetzgeber wertet also mit dem UF die Fähigkeit des Fahrzeugs, emissionsfrei zu fahren. Je höher die elektrische Reichweite, desto niedriger sind die CO2-Emissionen. Bisherige Studien zeigen jedoch, dass der WLPT-UF etwa doppelt so hoch wie der derzeitige reale elektrische Nutzungsanteil ist. Damit schützt ein PHEV das Klima offiziell nur auf dem Papier.

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Bonus in Brüssel

Die derzeitigen Förderbedingungen machen Plug-In-Hybride nicht nur als Dienst- und Privatwagen attraktiv. Den Automobilherstellern erleichtern sie, die europäischen CO2-Flottengrenzwerte einzuhalten: für PHEVs werden ihnen derzeit zusätzliche Super Credits gewährt. Milliardenschwere Strafzahlungen wegen zu hoher klimaschädlicher Abgase von schweren und PS-starken Verbrennermodellen lassen sich damit vermeiden.
Die niedrigen Emissionen der Plug-in-Hybride auf dem Papier stießen auch der „PHEV-Taskforce“ auf. „Sollte sich herausstellen, dass die Differenz zwischen realen und im Zyklus gemessenen Verbrauchswerten sich nicht annähert, sollte der Nutzenfaktor mit der bald anstehenden Revision (2020/2021) der CO2-Flottengrenzwerte auf europäischer Ebene entsprechend angepasst werden“, reichte sie das Problem an Brüssel weiter.

Dieser Text erschien zuerst in neue energie 2/2021
Titelbild: Alexander Migl, wikimedia
Contentbild: Thesupermat, wikimedia



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