Mit Corona stirbt man allein

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Mit Corona stirbt man allein

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Veröffentlicht von info@politogo.de in Bildung · 26 August 2020
Tags: CoronaQuerdenker
PolitoGO: Am kommenden Samstag (29. August 2020) wollte die Stuttgarter Initiative Querdenken711 die zweite große Anti-Corona-Demo in Berlin veranstalten. Diesmal unter dem Motto "Fest für Freiheit und Frieden". Sie wurde inzwischen verboten, wegen erwarteter Verstöße gegen die Hygieneverordnungen. Hätten Sie mitdemonstriert?

Widmann: Nein, wieso sollte ich?

Weil dort gegen Mund-Nasen-Bedeckung und Abstandsgebote demonstriert wird.

Jeder soll für sein Anliegen und seine Überzeugungen auf die Straße gehen dürfen. Das Demonstrationsrecht ist schließlich ein Grundrecht in unserer Demokratie. Fakt ist aber auch, dass die Gefahr durch das Corona-Virus real ist - und alle sie ernst nehmen sollten. Jeder muss sich selbst und andere Mitmenschen vor einer Infektion schützen. Solange es keinen Impfstoff und Medikamente gibt, geht dies am besten mit einer Mund-Nase-Maske und durch ausreichend Abstand halten. Insofern finde ich empfindliche Strafen für Maskenverweigerer auch gerechtfertigt. Von Demos gegen Hygieneregeln halte ich absolut nichts. Davon lässt sich das Virus nicht stoppen.

Auf früheren Querdenken-Demos wurde behauptet, das Corona-Virus sei eine Erfindung. Redner geißelten Politik und Medien dafür, dass sie die Ansteckungs- und Erkrankungsrisiken übertrieben und eine "Corona-Hysterie" schürten.

Seit den ersten Berichten aus Wuhan habe ich immer daran geglaubt, dass es das Virus gibt. Was ich mir bei Covid-19 nicht vorstellen konnte, war, wie dramatisch der Krankheitsverlauf sein kann. Auch ich war überzeugt, dass alles nicht so schlimm wird, falls man sich je infiziert. Ich war bislang immer gesund gewesen, hatte keine Vorerkrankungen und zählte nicht zu einer Risikogruppe. Corona? Nicht mehr als leichte Erkältung, die mit ein bisschen Husten und Schnupfen überstanden ist. So wie es Trump, Bolsonaro und Johnson verharmlosten, dachte auch ich. Doch das war ein gewaltiger Irrtum.

In Berlin und anderswo demonstrieren die Menschen, weil unter dem Vorwand Corona angeblich ihre Grundrechte eingeschränkt oder gar ganz außer Kraft gesetzt würden.

Mal ehrlich, im Vergleich zu anderen Ländern waren und sind wir hierzulande doch kaum irgendwie einschränkt. Wir konnten selbst im Frühjahr, als die Infektions- und Opferzahlen auch bei uns in die Höhe schossen, fast wie "in normalen Zeiten" leben. In Italien, Spanien und Frankreich durften die Menschen monatelang nicht die eigene Wohnung verlassen. Vor die Haustüre zu gehen, war nur zum Einkaufen im nächsten Laden erlaubt. Wer ohne triftigen Grund draußen unterwegs war, beging eine Straftat, die mit mehreren Hundert Euro Bußgeld geahndet wurde. Und wie läuft es bei uns? Ich bin bis zu meiner Erkrankung täglich zum Spazieren in den Wald gegangen und habe mich auch mit Freunden und Bekannten getroffen. Eben nur mit der "Einschränkung", Mindestabstand zu halten. Meine Freiheit am stärksten beschnitten haben nicht die Corona-Verordnungen. Sondern das Virus, als ich selbst und mein Vater uns damit infizierten und wir erkrankten.

Wie haben sie die Erkrankung erlebt?

Es begann Mitte März tatsächlich wie eine gewöhnliche Grippe. Ich spürte eines Abends, dass etwas nicht mit mir stimmt. Ich hatte noch im Garten gearbeitet, und war danach total erschöpft. In der Nacht bekam ich dann schnell Schüttelfrost, Fieber und Gelenkschmerzen. Am nächsten Morgen tat mir alles weh, ich konnte mich kaum noch bewegen. Die Kopfschmerzen waren die pure Folter: Im Sekundentakt zuckten grelle Blitze durch meinen Schädel. Wegen der Schmerzen konnte ich kaum schlafen. Vorübergehend verlor ich auch den Geschmackssinn, was ein typisches Symptom für Covid-19 ist. Das Fieber stieg zwar kaum über 39 Grad, schwankte aber auf und ab. Mehr als eine Woche war ich jeden Tag auf eine andere Art schwerkrank, bevor sich mein Zustand wieder verbesserte. Nach zwei Wochen fühlte ich mich wieder relativ gesund.

Wie wurden Sie ärztlich betreut?

Im Grunde genommen gar nicht. Bei Verdacht auf Corona durfte man, um Ansteckung von Personal und Patienten zu vermeiden, nicht in eine Arztpraxis kommen. Deshalb schilderte ich meinem Hausarzt telefonisch die Symptome. "Weil Sie keine Atembeschwerden haben, leiden Sie an einer Grippe. Nehmen Sie Paracetamol gegen die Schmerzen", lautete seine Diagnose. Der ich aber schon damals nicht traute. Ich wollte mich auf Corona testen lassen, um Gewissheit zu haben. Doch trotz mehrfacher Anrufe und Bitten wurde mir vom Ludwigsburger Gesundheitsamt ein PCR-Test verweigert. Immer mit der gleichen Begründung, weil ich nicht in einem Risikogebiet gewesen war. "Stellen Sie sich nicht so an", wurde mir zu verstehen gegeben. Im Nachhinein betrachtet, waren die Mitarbeiter des Amtes damals total überfordert vom Infektionsgeschehen, das sich im März rasant im Landkreis beschleunigte. Die medizinische Versorgungssituation spitzte sich dramatisch zu, immer mehr intensiv- und beatmungspflichte Patienten wurden auf die eilends eingerichtete Corona-Station im Ludwigsburger Krankenhaus verlegt. Diese Ausnahmesituation ist die einzige Entschuldigung, die ich den Mitarbeitern des Gesundheitsamts zugestehe.

Ihr Vater, der im gleichen Haus wie Sie lebte, erkrankte ebenfalls an Covid-19.

Mein Vater bewohnte ein Stockwerk unter mir seine eigene Wohnung. Gewöhnlich kochte ich für ihn mit und wir sahen uns beim gemeinsamen Essen. Nachdem sich bei mir erste Symptome zeigten, haben wir alle direkten Kontakte sofort eingestellt. Wir telefonierten nur noch miteinander. Doch diese Vorsichtsmaßnahme kam zu spät. Vier Tage nach mir erkrankte auch er. Ich hatte ihn wohl angesteckt, als ich noch symptomlos war. Bei ihm verlief die Erkrankung mit starkem Husten, Schnupfen und Durchfall weitaus schlimmer.

Dann musste Ihr Vater ins Krankenhaus.

Mein Vater war zwar schon 91 Jahre alt, aber körperlich und geistig noch extrem fit gewesen. Corona machte ihn von einem Tag auf den anderen zum Pflegefall. Eines Morgens fehlte ihm die Kraft zum Aufstehen. Er war so geschwächt, dass wir ihn ins Krankenhaus einweisen ließen. Ich half ihm noch bei Packen. Mit einem Wickeltuch vor dem Gesicht, weil es damals noch keine Masken gab. Als ihn die Sanitäter in Schutzanzügen abholten, war es das letzte Mal, dass ich ihn lebend sah. Acht Tage später starb er an dem Virus, das man im Krankenhaus mit einem Corona-Test nachwies. Seine Urne haben wir erst vor wenigen Tagen beerdigt. So konnten die meisten Familienangehörigen und viele Freunde von ihm Abschied nehmen. Im Frühjahr wäre dies aufgrund der Kontaktbeschränkungen nicht möglich gewesen.

Konnte bei Ihnen die Infektionskette nachverfolgt werden?

Nein. Wo ich mich angesteckt habe, weiß ich bis heute nicht. Ich bin im Winter in keinem Risikogebiet gewesen. Und unter meinen Freunden, Bekannten und Arbeitskollegen gab es keinen Corona-Fall. Sicher ist, dass ich das Virus in mir hatte. In meinem Blut konnten Antikörper nachgewiesen werden. Dieser Test wurde mir nach dem Tod meines Vaters dann doch zugestanden. Glücklicherweise habe ich die Infektion ohne irgendwelche Langzeitfolgen überstanden. Heute fühle ich mich vollständig genesen. Allerdings beschäftigt mich, ob ich auf Dauer immun gegen eine Covid-19-Neuerkrankung bin. Dazu gibt es bislang noch keine eindeutigen wissenschaftlichen Ergebnisse. Daneben schwingt in mir die Angst mit, dass ich auch Monate nach meiner Erkrankung noch infektiös und eine Gefahr für Freunde und Arbeitskollegen sein könnte. Das belastet mich.

Derzeit steigen die Infektionszahlen wieder. Als Grund gilt die Sorglosigkeit und Unachtsamkeit der Menschen. Was denken Sie darüber?

Wir sind im Gegensatz zu vielen anderen Ländern bislang glimpflich durch die Pandemie gekommen. Die Vorsichtsmaßnahmen, um Infektionsketten zu unterbrechen und die weitere Virusverbreitung zu verhindern, haben dazu beigetragen. Die Regierungen in Berlin und Stuttgart haben bislang einen guten Job gemacht. Aber ohne die Mitwirkung aller funktioniert es nicht. Jede und jeder sollte vernünftig sein. Denn wenn man Corona hat, ist man letztlich ganz alleine. Wie ich während der Erkrankung zuhause in Quarantäne, auch wenn mir meine Familie und gute Freunde täglich etwas zum Essen oder zur Aufmunterung vor die Tür gestellt haben. Sich gegenseitig in die Arme nehmen geht nicht. Im schlimmsten Fall stirbst Du auch einsam. So wie mein Vater auf einer Isolierstation im Krankenhaus.

* Name auf Wunsch der Interviewten geändert.



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