Wenn die Grünen uns Fleisch und Eigenheim verbieten wollen

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Wenn die Grünen uns Fleisch und Eigenheim verbieten wollen

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Veröffentlicht von Axel Mayer in Politik · 18 Februar 2021
Tags: Einfamilienhaus
Mit ihren Steuerplänen hatten sich die Grünen im Bundestagswahlkampf 2013 mit den Mächtigen im Lande angelegt. Die darauffolgende Veggie Day-Kampagne der Einflussreichen und ihrer Lobbygruppen und die Macht von BILD, FOCUS, Welt, Dumpf-TV & Co. hatten sie allerdings ein wenig unterschätzt. Es gibt deutliche Anzeichen für ähnliche Lobby-Kampagnen im Superwahljahr 2021.

BILD-Kampagnen gegen Grüne
BILD-Schlagzeilen vom 5. 8.2013 (oben) und vom 17.2.2021 (unten). Screenshots www.bild,de online abgerufen am 18.2.2021


Um was geht es eigentlich genau?

"Grünen-Fraktionschef Anton Hofreiter hatte im "Spiegel" ein Interview zum Thema Baupolitik gegeben. Darin betonte er, dass die Grünen niemandem die eigenen vier Wände verbieten wollten. In Großstädten seien aber Flächen knapp; und da sei es nachvollziehbar, dass Verwaltungen auf Geschosswohnungsbau und nicht auf Einfamilienhäuser setzten. Hofreiter machte auch deutlich, dass er die Ausweisung neuer Baugebiete für Einfamilienhäuser auf der grünen Wiese kritisch sieht. Das versiegele Flächen und führe zu mehr Verkehr. Sinnvoller sei es, Baulücken zu schließen, Brachflächen zu nutzen.
Die Forderung zum Verbot neuer Einfamilienhäuser gibt es nicht
Am nachrichtenarmen Wochenende wurden daraus ein zugespitzter – und später korrigierter – Tweet zur Vermarktung des Interviews sowie die Bild-Schlagzeile: "Grüne wollen neue Einfamilienhäuser verbieten". In den sozialen Medien sah sich Hofreiter einem Shitstorm ausgesetzt. Für seine Gegner war erneut der Beweis erbracht, dass es sich bei den Grünen um eine Verbotspartei handele. Das Interview schienen die wenigsten Kritiker gelesen zu haben. Eine Forderung nach einem Verbot neuer Einfamilienhäuser gibt es jedenfalls nicht her."
Quelle: Badische Zeitung

Veggie Day: Die Fleisch-Verbots-Kampagne

Im aktuellen Bundestagswahlkampf und Superwahljahr 2021 ist es notwendig, die Veggie Day-Kampagne des Jahres 2013 zu analysieren. Die Kampagne gegen den Veggie Day ist ein politisches Lehrstück, nicht nur für Parteien, sondern gerade auch für die Umweltbewegung und die sozialen Bewegungen in Deutschland. Wie war es damals möglich, ein ökologisches Fürzlein aus einer winzigen Nische des GRÜNEN-Wahlprogramms zu einem bedrohlich-gigantischen Tornado aufzublasen und die Medienkampagne gegen einen vegetarischen Tag in Kantinen als "Kampf für Freiheit" zu inszenieren?

Im Zusammenhang mit der gut organisierten Kritik am Veggie Day wurde häufig der Begriff "Freiheit" genannt. Doch ging es bei diesem Kampf gegen einen fleischlosen Tag in Kantinen nicht eher um eine ganz andere "Freiheit"? Um die uneingeschränkte Freiheit, Gewinne auf Kosten von Menschen zu machen, Steuern zu vermeiden, Cum-Ex-Deals zu machen, um die Freiheit, AKW länger zu betreiben und mit Kohlekraftwerken das Klima zu verändern und um die Freiheit der Industrie, die Umwelt auszubeuten und zu zerstören?

Journalistischer Selbstläufer oder organisierte Kampagne?

Ein rheinland-pfälzischer Bundestagsabgeordneter der CDU hatte Mitte Juli Berliner Journalisten zu einem Hintergrundgespräch eingeladen. Dabei wurde eine längere Liste von Verboten und Verbotsvorhaben der Grünen vorgestellt. Die FAZ griff das Thema am 16. Juli 2013 auf, ohne jedoch große Resonanz zu erhalten und verwies namentlich auf den stellvertretenden Fraktionsvorsitzenden der CDU, Michael Fuchs als Urheber der Liste. Am Folgetag kam die BILD-Zeitung mit einer ersten Meldung heraus, ohne jedoch besondere Resonanz zu erzielen. Zwei Wochen später brachte die BILD-Zeitung das Thema am 5. August unter dem Aufmacher "Die Grünen wollen uns das Fleisch verbieten!" erneut heraus und gab dies auch als Meldung an die Nachrichtenagenturen weiter. "Die Tofu-Lawine lässt sich nicht mehr stoppen" analysiert später die ARD-Journalistin Sarah Renner diesen Zeitpunkt der inszenierten Empörungswelle und schreibt weiter: "Der Empörungspegel steigt jetzt im Sekundentakt. Immer mehr Zeitungen, Radio- und Fernsehsender greifen das Thema auf."

Mit Fotomontage angeblichen "Riesen-Streit" inszeniert: BILD-Schlagzeile mit bayerischen Fraktionschefs Alexander Dobrinth (CSU) und Anton Hofreiter (Grüne). Screenshot www.bild.de
Mit Fotomontage angeblichen "Riesen-Streit" inszeniert: BILD-Schlagzeile mit bayerischen Fraktionschefs Alexander Dobrinth (CSU) und Anton Hofreiter (Grüne). Screenshot www.bild.de

Die begleitende Internetkampagne des rechtslibertären Netzwerkes die "Achse des Guten" verglich die "GRÜNEN-Idee" mit dem "Eintopfsonntag" der Nazis. "Alles für die Volksgemeinschaft" lautet die Überschrift des entsprechenden Blog-Eintrags. Einen ähnlichen Vergleich wie die "Achse des Guten" hat auch der Berliner FDP-Bundestagsabgeordnete Lars Lindemann gezogen. Der Gesundheitsexperte der Liberalen veröffentlichte auf seiner Facebook-Seite eine Montage aus einem Grünen-Logo und einem NS-Propagandabild. Das Plakat zeigt eine Mutter, die ihren vier Kindern Stullen anbietet. "Eßt Vollkornbrot, denn es ist besser und gesunder", steht darunter. Der Appell stammt aus einer Nazi-Kampagne zur Volksgesundheit. In der oberen rechten Ecke ist das Parteilogo der Grünen zu sehen. Das als Initiative getarnte Sprachrohr der Industrie, die "Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft" (INSM) macht in ihrem Blog aus einem "GRÜNEN Vorschlag" einen "zwangsverordneten Veggie Day".  Der Wirtschaftswoche zufolge wurde der „Veggie Day“ im August zu einem der fünf am häufigsten diskutierten Themen und ließ „Überwachung“ oder „NSA“ hinter sich. Die von Bild begonnene Kampagne war in einem von vielen Medien gezielt inhaltsleer gehaltenen Wahlkampf eine der erfolgreichsten politischen Kampagnen der letzten Jahre und dies spiegelte sich auch im schlechten Wahlergebnis der GRÜNEN wieder.


Noch Restalkohol intus? Tweet von CSU-Chef Markus Söder vom Aschermittwoch 2021
Es gibt für die Umweltbewegung keinen Grund zur Häme, denn solche Kampagnen können auch die sozialen Bewegungen treffen. Wir brauchen eine kritische, engagierte Presse die uns auch widerspricht. Ein Beispiel für journalistische Übergriffigkeit sind die Rupert Murdoch-Medien die weltweit den Klimawandel leugnen und Politikern wie Trump zur Macht verholfen haben. Die Murdoch-Presse hat den Brexit nicht kritisch begleitet. Sie hat ihn organisiert. Nicht nur bei den GRÜNEN, auch bei den sozialen Bewegungen fehlt es an kritischer Analyse solcher Kampagnen und wer nicht analysiert, kann sich auch nicht wehren.

BILD geschockt: Auch Linke-Fraktionschef Bernd Riexinger ist für neue, nachhaltige und bezahlbare Wohnformen. Screenshot www.bild.de
BILD geschockt: Auch Linke-Fraktionschef Bernd Riexinger ist für neue, nachhaltige und bezahlbare Wohnformen. Screenshot www.bild.de
Die erfolgreiche Anti-Veggie Day-Kampagne 2013 zeigte, wer Medien macht und wer Medienmacht in Deutschland hat. Sie war Teil eines stillen, offensiv-aggressiven Kulturkampfes gegen Nachhaltigkeit, der auch heute noch gut organisiert geführt wird, ein Vorgeschmack auf kommende Konflikte, die in den USA schon lange an der Tagesordnung sind. Die Reaktion eines Teils der GRÜNEN auf diese Kampagne war leider nicht kluge Analyse, sondern verstärkte Anpassung.

Selbstverständlich brauchen wir kritische Debatten um Fleischkonsum und Flächenverbrauch, doch die aktuelle Debatte ist der Versuch, die Kampagne aus dem Jahr 2013 zu wiederholen und die GRÜNEN noch angepasster zu machen. Klimakatastrophe, Artenausrottung, Cum-Ex-Betrug und steuervermeidende Großkonzerne zeigen, dass wir zu viele Ja-Sager-Parteien haben.
Ein persönlicher Meinungsbeitrag von Axel Mayer, Mitwelt am Oberrhein, (Alt-)BUND-Geschäftsführer, Kreisrat

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Anmerkung des Blogbetreibers


Nicht alle Medien berichten wie BILD, Welt, Focus oder Spiegel einseitig aufgeregt über den Bebauungsplanbeschluss in Hamburg-Nord, der wegen Flächen- und Wohnungsmangel sowie Klimaschutz künftig keinen Neubau von Einfamilienhäusern vorsieht. Eine absolut lesenswerte Analyse liefert das österreichische Zeitungshaus Standard. Zitat:

"Auch die Pawlow'sche Erregervokabel vom "Verbot" wird durch die Wiederholung nicht wahrer. "Die meisten gesetzlichen Maßnahmen sind Verbote oder Gebote. Warum das eine böse ist und das andere nicht, ist eine rein politische Bewertung", sagt Temel. Es geht schließlich einfach um einen Bebauungsplan, der macht, was jeder Bebauungsplan macht: Er legt fest, wie gebaut werden darf und wie nicht. Auch die Seestadt Aspern und die Gründerzeitstadt in Wien sehen keine Einfamilienhäuser vor, trotzdem wirft ihnen niemand eine Verbotsideologie vor. Außerdem betrifft die Regelung in Hamburg-Nord ausschließlich Neubaugebiete. Wer bisher im Einfamilienhaus lebte, wie vermutlich ein Großteil der empörten hanseatischen Einstecktuchbrigade, darf das auch weiterhin tun. Nebenbei entsteht im Süden der Stadt gerade das Wohngebiet Vogelkamp Neugraben, ein Folgeprojekt der IBA Hamburg mit 1500 Wohneinheiten, fast alle davon in Einfamilienhäusern."

Kein Plan für Einfamilienhäuser: Wegen Nachhaltigkeit und Klimaschutz preisgekrönter Entwicklungsplan für Wiener Stadtbezirk Seestadt Aspern
Und selbst das Bayerische Staatsministerium für Umwelt und Verbraucherschutz sowie das nachgelagerte Bayerische Landesamt für Umwelt sorgen sich um den hohen Flächen- und Ressourcenbedarf von Einfamilienhäusern und plädieren für eine nachhaltige Stadt- und Dorfentwicklung durch Nachverdichtung oder Revitalisierung statt weiterer Zersiedelung durch Ausweisung von neuen Einfamilienhaus-Baugebieten.



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