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Veröffentlicht von info@politogo.de in Energie · 6 März 2020
Tags: WindenergieInfraschallWindturbinensyndromDänemarkWeltWetzelPelztierfarmNerz
Auf den ersten Blick klingt es wie ein Plädoyer für mehr Tierschutz. „Sie tobten mit einem schrillen Kreischen in ihren Käfigen und begannen sich gegenseitig zu beißen“, beklagt Kaj Bank Olesen in der „Welt“ abnormes Verhalten seiner Nerze. Doch Olesen ist kein Tierschützer, dem es ums Leid wehrloser Kreaturen geht. Ihm gehört eine Pelzfarm im dänischen Vildbjerg, wo er 25 000 der Mardertiere in Drahtkäfigen züchtet. Als tierischen Rohstoff für die Modeindustrie. Tote Tiere bedeuten finanzielle Verluste.

Ein Peta-Video über dänische Pelzfarmen zeigt, wie Nerze sich selbst und ihre Artgenossen annagen. Weil sie die beengte Gefangenschaft mit mehreren Artgenossen nicht ertragen, betont die Tierschutzorganisation. Denn in der Natur sind Nerze Einzelgänger, deren Revier rund zwanzig Quadratkilometer umfasst. Vieles spricht deshalb dafür, dass die Massenhaltung in Pelzfarmen die Tiere in den Wahnsinn treibt. Doch im Bericht von „Welt“-Redakteur Daniel Wetzel vom März 2015 spielt das keine Rolle. Demnach kannibalisieren sich die Nerze wegen zweier Windräder, die in Nähe von Olensens Farm stehen.

Screenshot welt.deWetzels Bericht ist beispielhaft, wie manche Medien Energiewende und insbesondere die Windenergie in Verruf zu bringen versuchen. „Macht der Infraschall von Windkraftanlagen krank?“, war der Beitrag zwar mit einem Fragezeichen überschrieben. Doch das war rein rhetorisch: Der Text suggerierte, dass der unhörbare Schall der Anlagen nicht nur Nerze verrückt macht, sondern auch den Menschen schadet. Beweise dafür lieferte der Text keine. Zwar verwies der Autor auf „Dutzende wissenschaftliche Veröffentlichungen“, auf die Windkraftgegner im Internet verlinken. Genannt ist auch ein „World Council for Nature“, das der dänischen Regierung vorwirft, „die wachsende Zahl der Belege für die Existenz eines „Windturbinen-Syndroms“ zu ignorieren“.

Doch das ominöse „Council“, eine „internationale Organisation, die Windkraft aus Naturschutzgründen ablehnt“, entpuppt sich nach kurzer Internetrecherche als spanischer Einmann-Verein mit selbstgebastelter Homepage. Auch wer sich die Mühe macht, die verlinkten Portale der Windkraftgegner zu durchsuchen, findet dort keine einzige nach den strengen Regeln wissenschaftlicher Publikationen erstellte Studie, die Windrad-Schall als Auslöser für Herzrasen, Magenschmerzen, Nasenbluten, Tinnitus oder anderer Symptome belegt.

Kritische Berichterstattung ist eine der wichtigsten Aufgaben unabhängiger Presse. Doch wenn Wahrheit und Ausgewogenheit auf der Strecke bleiben, liegt der Verdacht der Manipulation von Meinung nahe. Die Methoden dafür sind vielseitig, wie die Kommunikationsforschung nicht erst seit der Fake-News-Debatte zeigt. Dabei bedarf es nicht einmal Lügen. Es genügt, wenn Journalisten Fakten und Geschehnissen einseitig, tendenziös und oder verzerrt darstellen. Derartige Manipulation sind von Lesern, Zuhörern oder Zuschauern meist nur schwer oder gar nicht zu durchschauen.

Ein Beispiel dafür ist das Radio-Feature "Klimaheilmittel und Krankmacher" von Deutschlandradio Kultur vom 19. April 2018. "Windkraft scheint das Zeug zu haben, nicht nur Strom, sondern auch Krankheiten zu erzeugen", behauptet Autor Heinz-Jörg Graf darin. Zu belegen versucht er dies mit O-Tönen aus Borchen, einem Ort im Kreis Paderborn in Nordrhein-Westfalen, wo – man beachte die Wortwahl - "überall graue Kolosse in den Himmel ragen, die Orte belagern und umzingeln". Ein namentlich genanntes Ehepaar schildert seine Leiden. "Man hat so ein Beklommenheitsgefühl in der Brust, und man kann nicht einschlafen. Man denkt, man bekommt gleich keine Luft mehr. Dann sieht man morgens vor dem Spiegel eine geplatzte Ader im Auge, sodass ich jetzt seit einigen Jahren Bluthochdruck habe. Jetzt auch seit einem Jahr Tinnitus", sagt der Mann. Die Ehefrau vermutet Windenergie sogar als Auslöser angeblich steigender Krebsraten in der Kleinstadt.

Screenshot DeutschlandfunkUm die Aussagekraft der Windkraftopfer transparent zu machen, wären kritische Fragen angebracht gewesen. Etwa, auf welche Fakten sich ihre Aussagen stützen. Oder wodurch nachgewiesen ist, dass die genannten Krankheitssymptome nicht auf andere Ursachen zurückzuführen sind.

Sorgfaltspflicht hätte auch verlangt zu erwähnen, dass die Interviewten eventuell aus persönlichen Gründen gegen Windkraft sind. Das vermutet zumindest der örtliche Windpark-Projektierer WestfalenWind. So besitze "der Vater von SPD-Ratsherr Volker T. ein kleines Grundstück mitten im Ettelner Windpark. Möglicherweise erwarte er Nachteile, sobald die WestfalenWIND-Anlagen errichtet seien. Vielleicht habe Familie T. auch Befürchtungen, dort später keine eigene Windkraftanlage mehr bauen zu können?", fragt das Unternehmen in einer Pressemittelung.

Stattdessen präsentiert Autor Graf "Experten", die die Erkrankungen des Ehepaars als plausibel bestätigen – aber nicht als unabhängig gelten können. Etwa Thomas Carl Stiller, Allgemeinarzt aus Uslar-Volpriehausen (Niedersachen), der die "Ärzte für Immissionsschutz" AEFIS anführt. Es ist die einzige medizinische Vereinigung bundesweit, die Windkraft kompromisslos ablehnt – und deshalb nur unter Windkraftgegner bekannt ist. Wieviel Mitglieder der 2013 gegründete Verein hat, ist unklar.

Zu Wort kommt auch Sven Johannsen, Geschäftsführer der "GuSZ Gutachter- und Sachverständigen Zentrum für Umweltmessungen GmbH" in Birkenau bei Mannheim. "Für seine Messungen ist er bundesweit unterwegs. In den letzten Jahren erreichen ihn immer häufiger Anfragen von Menschen, die unter dem sogenannten Windturbinensyndrom leiden", heißt es im Feature. Dass Johannsen bei Gegner-Initiativen auftritt und dort für seine Firma wirbt, also ein wirtschaftliches Interesse an Schallmessungen hat, wird verschwiegen. Ebenso, dass "Gutachter" und "Sachverständiger" ungeschützte Berufsbezeichnungen sind, die nichts über Arbeitsqualität aussagen.

Äußerungen von Johannsen verleiteten Journalist Graf offenbar dazu, der Landesanstalt für Umwelt Baden-Württemberg (LUBW) zu unterstellen, bei Schallmessungen "manchmal trickreich zu verfahren". Eine schwerwiegende Behauptung, die die Redaktion nach Aussendung des Features auf Betreiben der LUBW korrigieren musste: "Die Durchführung der Messungen entsprach den geltenden Regelwerken." Auf Anfrage verweigerte der staatliche Radiosender eine Stellungnahme. Ebenso den Kontakt zum Autor.      

Screenshot Welt.deZurück zum Infraschall-Bericht der "Welt" vom März 2015. Darin erwähnt ist eine Studie des dänischen Krebsforschungszentrum, die im Auftrag der dänischen Regierung endgültig Aufklärung über mögliche Windkraftgefahren liefern soll. Die Daten von rund einer Million Bürger sollten dazu herangezogen werden. "Dieser Forschungsauftrag hat weitreichende Folgen. Viele Kommunen, die in Dänemark die gesetzliche Planungshoheit haben, legten ihre Pläne für Windenergieprojekte auf Eis. Aus Rücksicht auf verunsicherte Bürger wollen sie erst dann wieder neue Windparks zulassen, wenn 2017 das Ergebnis der Studie über Windkraftgefahren vorliegt", berichtete "Welt"-Redakteur Wetzel damals über ein angebliches Ausbaumoratorium.

Das erwies sich als falsch, wie eine Anfrage des baden-württembergischen Umweltministerium an die dänische Energieagentur ergab. Nichtsdestotrotz wurde Wetzels Bericht in der Szene verbreitet. Mit Verweis auf den Artikel forderte der damalige FDP-Fraktionschef in Hessen, Florian Rentsch, von der Bundesregierung ein Ausbaumoratorium für Windkraft.

Im Februar 2018 vermeldete Wetzel dann, dass die dänischen "Forscher endlich klären, ob Windkraft krank macht". Nach seinen Informationen habe das Kopenhagener Krebsforschungszentrum „die mit Spannung erwartete, bereits seit 2013 laufende Gesundheitsuntersuchung von Windpark-Anrainern jüngst abgeschlossen“. Die Ergebnisse der Studie durchliefen gerade den „Peer Review“ genannten Prozess akademischer Kontrolle.

Danach erfuhren "Welt"-Leser bis heute nichts mehr über die Studie. Warum nicht? Weil sie nicht im Sinne der Windkraftgegner ausfiel? Seit März 2018 sind die Ergebnisse im Internet publiziert:  "Diese Studie lieferte keine schlüssigen Beweise für eine Assoziation zwischen Windturbinenlärm und Herz-Kreislauf-Erkrankungen oder Schlaganfall", so das Hauptfazit. Im April 2018 veröffentlichte das gleiche Forscherteam eine weitere Studie. Auch sie lieferte keine Anhaltspunkte, dass Windturbinen das Risiko einer Diabetes-Erkrankung erhöhen.

Dieser Beitrag und alle Angaben darin basieren auf Recherchen von Ende Oktober 2018. Es gelang dem Autor damals nicht, den Beitrag in anderen Medien zu platzieren.

Der Autor hat "Welt"-Redakteur Daniel Wetzel im Oktober 2018 um Stellungsnahme zu seiner offensichtlich suggestiven Berichterstattung gebeten und auch gefragt, wann "Welt"-Leser über das Ergebnis der dänischen Windkraft-Studie informiert werden. Die Antwort Wetzels:

"Zu Ihren Fragen muss ich zunächst richtigstellen, dass sich in meinem früheren Beitrag nicht geschildert habe, „dass Infraschall krank macht.“ Als Kollege wissen Sie ja, dass man nicht ohne Not ein Fragezeichen hinter eine Schlagzeile macht, und in diesem Fall hatte ich das bewusst getan und redaktionsintern verteidigt. Ich habe in dem Beitrag allerdings geschildert, dass es begründete Verdachtsmomente gibt und die bisherigen Testverfahren der TA Lärm nicht geeignet sind, das Problem zu erfassen.

Ich warte immer noch auf Nachricht aus Dänemark, dass die Peer Review abgeschlossen ist. Allerdings frage ich dort auch nicht wöchentlich nach. Wenn die Peer Review abgeschlossen und die Veröffentlichung erfolgt ist, werde ich sicher darüber berichten."





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