Die Mär vom sauberen Erdgas
Während die letzten Meter der russischen Gas-Pipeline Nord Stream 2 in der Ostsee verlegt werden, sollen in Nordseehäfen bald Flüssiggastanker aus den USA anlanden. Klimaschützer warnen vor gewaltigen ökologischen und wirtschaftlichen Schäden.
Da waren´s nur noch zwei. Obwohl Uniper noch vor kurzem über ein „sehr hohes, international geprägtes Marktinteresse“ berichtet hatte, stoppte der Düsseldorfer Energiekonzern im vergangenen November abrupt seine Pläne für ein Importterminal von verflüssigtem Erdgas (Liquefied Natural Gas, kurz LNG). Mangels Nachfrage - das überraschende Aus für das Projekt im niedersächsischen Wilhelmshaven kam nach Ende eines verbindlichen Buchungsverfahrens, bei dem kaum Kapazitäten nachgefragt wurden. Seither konkurrieren noch die Häfen in Brunsbüttel und Stade um das erste deutsche LNG-Terminal.
Auszug aus einem Text, der völlständig in "neue energie" 1/2021 publiziert ist.
Da waren´s nur noch zwei. Obwohl Uniper noch vor kurzem über ein „sehr hohes, international geprägtes Marktinteresse“ berichtet hatte, stoppte der Düsseldorfer Energiekonzern im vergangenen November abrupt seine Pläne für ein Importterminal von verflüssigtem Erdgas (Liquefied Natural Gas, kurz LNG). Mangels Nachfrage - das überraschende Aus für das Projekt im niedersächsischen Wilhelmshaven kam nach Ende eines verbindlichen Buchungsverfahrens, bei dem kaum Kapazitäten nachgefragt wurden. Seither konkurrieren noch die Häfen in Brunsbüttel und Stade um das erste deutsche LNG-Terminal.
„LNG ist ein Wachstumsmarkt, und Erdgas spielt eine immer größere Rolle bei der Gewährleistung der Versorgungssicherheit und bei der Dekarbonisierung des globalen Energiesystems“, betonte Uniper-CEO Andreas Schierenbeck zwar. „Aber es ist auch klar, dass alle Überlegungen den gleichen strengen wirtschaftlichen Kriterien entsprechen müssen.“ Ursprünglich wollte Uniper über das schwimmende Terminal zehn Milliarden Kubikmeter umschlagen, was etwa zehn Prozent des aktuellen deutschen Gasbedarfs entspricht. Losgehen sollte es im Jahr 2023.
Auch an den verbliebenen Standorten geht´s nicht recht voran. So ist das Planfeststellungsverfahren in Brunsbüttel anders als geplant noch nicht abgeschlossen. Im Internet verweist das Joint Venture der niederländischen Gasunie LNG Holding und Vopak LNG Holding sowie der Oiltanking GmbH, einer Tochter der Marquard & Bahls AG aus Hamburg, nur darauf, „nach konstruktiven Gesprächen“ den Entwurf einer Freistellungsentscheidung von der Bundesnetzagentur erhalten zu haben. Nun müssen Bundeskartellamt und EU-Kommission noch ihr Plazet geben. Dann wäre der jährliche Gesamtdurchsatz von acht Milliarden Kubikmetern Gas von Tarif- und Netzzugangsregulierung ausgenommen. Der Entwurf sei ein „entscheidender Meilenstein auf dem Weg zu einer positiven Investitionsentscheidung“, lobte German LNG Terminal. Letztere erwartet der Energieversorger RWE, der den größten Teil der Kapazität der Anlage übernehmen will, nun in der ersten Jahreshälfte 2021.
Kaum weiter ist man in Stade an der Elbe, wo bis Ende 2021 Genehmigungen, Verträge und Finanzierung in trockenen Tüchern sein sollen. Sobald der Seehafen erweitert und Anlande- und Tankanlagen im bestehenden Dow-Industriepark stehen, soll der „Hanseatic Energy Hub“ mit einer Kapazität von zwölf Milliarden Kubikmeter in 2026 in Betrieb gehen. Im ersten Quartal 2021 sollen LNG-Lieferanten verbindlich buchen können.
Das holprige Vor und Zurück steht im Gegensatz zu der goldenen Zukunft, die Erdgas gern vorhergesagt wird. „Gas ist sexy“, schwärmte Wirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) noch Ende 2019 beim Dialogprozess „Gas 2030“. Gasförmige Energieträger seien bis auf Weiteres unverzichtbar, so seine damalige Botschaft, die von der Branche als „starkes Signal“ gewertet wurde. Erdgas soll nicht nur durch Pipelines wie die fast fertiggestellte russische Ostseeleitung Nord Stream 2 nach Deutschland fließen. Sondern auch vermehrt in flüssiger Form per Schiff anlanden. „Eine sichere Gasversorgung basiert auf möglichst vielen verschiedenen Versorgungswegen und -quellen“, bekräftigt eine Sprecherin des Wirtschaftsministers auf Anfrage, „mit der Errichtung von LNG-Infrastruktur können wir die Versorgungssicherheit in Deutschland und Europa insgesamt stärken.“
Tweet des DUH-Energieexperten Zerger über Altmaiers intime Beziehung zu Erdgas (Quelle Twitter)
Darüber hinaus könne LNG einen bedeutenden Beitrag zur Erreichung der Pariser Klimaschutzziele leisten. „Gasförmige Energieträger sind auch langfristig bei ambitionierten Klimazielen integraler Bestandteil der Energiewende“, betont die Sprecherin. Zwar werde der Erdgasbedarf in Deutschland langfristig rückgängig sein, da mehr grüne Gase eingesetzt werden. „Dennoch wird der Bedarf in Europa im allgemeinen auf Grund von Atom- und Kohleausstiegen steigen, sodass LNG auch in Zukunft noch eine Rolle spielen wird“, lässt Altmaier ausrichten.
Zwei Einsatzbereiche stehen bei LNG hierzulande im Fokus. So soll es als Schiffsantrieb prima fürs Klima wirken. Verglichen mit Schweröl und Marinediesel sollen die CO2-Emissionen um bis zu 25 Prozent sinken. Weitere umweltrelevante Vorteile: Mit LNG wird kein Schwefeldioxid und fast kein Feinstaub aus den Schiffskaminen dampfen, der Stickoxid-Ausstoß um rund 85 Prozent sinken.
Ähnlich segensreich soll LNG im Straßengüterverkehr wirken. Was dringend nötig wäre: der CO2-Ausstoß in diesem Sektor stieg zwischen 1995 und 2018 trotz technischer Verbesserungen von 39,2 auf 47,9 Millionen Tonnen, oder 22 Prozent. Hier soll der CO2-Vorteil bei 15 Prozent im Vergleich zu Diesel liegen. „Dementsprechend begrüßt die Bundesregierung privatwirtschaftliche Investitionen in die deutsche Gastransportinfrastruktur“, so Altmaier jüngst.
Das Narrativ von fossilem und grünem Brennstoff als Klimaretter erzählen auch Branchenvertreter. „Der Klimawandel erfordert dringende Maßnahmen“, betont etwa die „Green Gas Initiative“. Es benötige gut ausgebaute Gasnetze und eine „komplementäre Funktion von erneuerbaren Gasen und Erdgas im Vergleich zu anderen Energieformen“, fordert die Initiative, hinter der sieben führende Gasnetzbetreiber in Europa stehen. Ziel sei, bis 2050 zu einer CO2-neutralen Gasversorgung in Europa beizutragen – mit Biomethan, Power to Gas und Gas als Treibstoff im Straßen- und Seeverkehr.
Doch vieles davon ist unsichere Zukunftsmusik. So ist die Aufbereitung von Biogas zu Methan technisch und energetisch aufwendig. Auch deshalb produzieren die rund 9500 Biogasanlagen in Deutschland zwar fleißig Strom, aber kaum Biomethan. Zudem konkurriert der Anbau von Energiepflanzen bei Flächenknappheit mit der Nahrungsmittelproduktion und dem Schutz natürlicher Ökosysteme. Ganz am Anfang steht die Power to Gas-Infrastruktur. Die elektrische Leistung der 62 Elektrolyseure, die zur Produktion von Wasserstoff hierzulande aktuell geplant oder bereits in Betrieb sind, summiert sich auf überschaubare 308 Megawatt. „Deutschland bleibt auch langfristig ein Energieimportland, gerade mit Blick auf CO2-freie und CO2-neutrale Energieträger“, gesteht Altmaiers Sprecherin. Wo die gigantischen Kapazitäten für Produktion, Transport und Lagerung erneuerbarer Gase weltweit entstehen, ist derzeit noch völlig unklar.
Sicher ist, dass die Europa aus fossilem Erdgas aussteigen muss, will es bis 2050 klimaneutral sein. Nach Modellrechnungen der EU-Kommission muss dessen Anteil am Endenergieverbrauch von derzeit 24 Prozent auf 3 bis 4 Prozent fallen. Manchen geht das viel zu langsam. „Erdgas ist aufgrund von Methan-Leckagen deutlich klimaschädlicher als oft angenommen“, verweist der Think Tank E3G auf Aussagen der Internationalen Energieagentur (IEA). Demnach entstehen bis zu 25 Prozent der Emissionen von Erdgas nicht bei der Verbrennung, sondern während Produktion und Transport. Neue Daten zu Methankonzentrationen in der Atmosphäre legten nahe, dass sogar dieser Wert das wahre Ausmaß unterschätzt, warnt E3G: „Ab einer Leckage-Rate von 2,7 Prozent ist die Erdgasverbrennung insgesamt sogar klimaschädlicher als die Verbrennung von Kohle.“ Bislang sei nicht widerlegt, dass die Leckage-Raten auf den langen Transportwegen aus Russland und den USA darunter lägen.
„Bei Methanemissionen besteht weiter Evaluierungs- und Forschungsbedarf", betont das Wirtschaftsministerium auf Anfrage. Die gegenwärtige Daten- und Faktengrundlage sei nicht hinreichend. Deshalb unterstütze die Bundesregierung die EU-Kommission bei Studien und der Erarbeitung der integrierten Methanstrategie, welche neben dem Energiesektor auch die Landwirtschaft und den Abfallsektor umfasst. „Wir begrüßen Verpflichtungen zur verbesserten Überwachung von Methanemissionen und zur Behebung von Methanleckagen in diesen drei Sektoren.“
Am Bild von Erdgas als sauberem Energieträger kratzten zuletzt auch Studien das International Council on Clean Transportation (ICCT). Die unabhängige Organisation ermittelte, dass flüssiges Erdgas im Verkehrssektor seinen angeblichen Klimavorteil durch Methanschlupfe verliert. Als Schiffstreibstoff verursacht LNG sogar zwischen 70 bis 82 Prozent höhere Treibhausgasemissionen als Marinediesel, so ein ICCT-Ergebnis. Derzeit sind weltweit mehr als 750 LNG-Schiffe im Einsatz oder bestellt – noch eine vergleichsweise kleine Zahl innerhalb der Weltflotte von rund 60.000 Handelsschiffen. Tendenz jedoch stark steigend.
Eine aktuelle Studie von Öko-Institut und ICCT im Auftrag des Umweltbundesamtes (UBA) ergab, dass LNG im Straßengüterverkehr kaum Klimavorteile hat. Je nach Verbrennungskonzept liegen die Emissionen von LNG-Lkw zwischen 969 und 1.051 Gramm Kohlendioxid-Äquivalenten pro gefahrenem Kilometer (gCO2-Äq./km). Ein Diesel-Lkw verursacht mit 1.056 Gramm pro Kilometer nur geringfügig höhere Emissionen. „Die Förderung von LNG-Lkw aus Klima- und Umweltsicht ist deshalb nicht begründbar“, so das UBA.
Dennoch verlängerte die Bundesregierung die Maut-Befreiung von LNG-Lkw jüngst bis Ende 2022. Laut Brancheninitiative Zukunft Erdgas hat sich die Absatzmenge von flüssigem Erdgas als Kraftstoff für den Schwerlastverkehr in 2020 mit rund 47.000 Tonnen im Vergleich zum Vorjahr mehr als verdoppelt. Die Anzahl der LNG-Tankstellen ist in 2020 von 11 auf 39 gewachsen. „Fördermaßnahmen und Mautbefreiung für LNG sind gut angelegtes Geld für mehr Klimaschutz“, so Timm Kehler, Vorstand von Zukunft Erdgas.
Ras Laffan Industrial City ist Katars Hauptstandort für die Produktion von Flüssigerdgas und dessen Verschiffung auch nach Europa (Bild Matthew Smith @ Flickr)
Ganz anders sehen dies Umweltverbände. Sie drängen darauf, die Pläne für mehr Importe von verflüssigtem Erdgas zu beerdigen. „Der Bau von LNG-Terminals sind Investitionen in eine fossile Energieinfrastruktur. Das ist angesichts der notwendigen Umstellung auf Erneuerbare rückwärtsgewandt und widerspricht den Pariser Klimaschutzverpflichtungen ", kritisieren BUND und Deutsche Umwelthilfe (DUH). Deutschland habe ein stabiles Energiesystem, sei gut in das europäische Gasnetz eingebunden und verfüge über ausreichende Kapazitäten. „Es braucht keine zusätzlichen Gasimportkapazitäten“, betont Constantin Zerger, DUH-Experte für Energie und Klimaschutz.
Tatsächlich liegen die europaweiten LNG-Importkapazitäten von jährlich 241 Milliarden Kubikmeter (bcm), die etwa 40 Prozent des europäischen Erdgas-Bedarfs decken, größtenteils brach. So importierte Europa in 2019 nur 108 Milliarden Kubikmeter (bcm) LNG. Davon kamen 23,7 bcm aus Katar, 14,1 bcm aus Algerien und 13,2 bcm aus Nigeria. Die USA lieferten lediglich 2,6 bcm. „Bis 2035 kein Bedarf für deutsches LNG-Terminal im Gas-Großhandelsmarkt“, hieß es auf einem LNG-Workshop der Bundesnetzagentur im Jahr 2018.
Die Miniimporte von amerikanischem LNG durch Deutschland sehen Beobachter als wahren Grund der US-Sanktionen gegen die Ostsee-Pipeline Nord Stream 2. Um die Blockadehaltung der USA zu lösen, unterbreitete Bundesfinanzminister Olaf Scholz (SPD) im September 2020 seinem damaligen US-Kollegen Steven Mnuchin einen milliardenschweren Kuhhandel an, wie die „Zeit“ berichtete. Deutschland werde mit massiver Staatshilfe den Import von Erdgas aus den USA befördern, wenn diese im Gegenzug auf Sanktionen gegen den Import von Erdgas aus Russland verzichten. Scholz` Ministerium verweigerte der „Zeit“ damals eine Stellungnahme.
Update: Am 9. 2. 2021 veröffentlichte die Deutsche Umwelthilfe (DUH) den Scholz-Brief an seinen US-Kollegen Mnuchin. Er ist auf den DUH-Seiten herunterladbar. Wir haben die Abbildung nachträglich eingefügt.
Dabei hatten die Amerikaner sich schon früher für mehr LNG-Importe ins Zeug gelegt. Als Hanseatic Energy Hub-Geschäftsführer Schubert im Oktober 2018 den Antrag auf Fördermittel für seinen Terminal stellte, gab sich neben den deutschen Staatssekretären Thomas Bareiß (Wirtschaft) und Enak Ferlemann (Verkehr) auch der damalige US-Botschafter Richard A. Grenell im Berliner Allianz Forum am Brandenburger Tor die Ehre. „Die Vereinigten Staaten wollen mehr Flüssiggas nach Deutschland und Europa liefern. Damit schaffen wir Arbeitsplätze und vertiefen die transatlantischen Beziehungen, während wir gleichzeitig Deutschland helfen, seine Energiequellen zu diversifizieren", betonte der Trump-Vertraute damals.
Gemeinsam für den LNG-Terminal-Stade(l) v.l.: US-Botschafter Richard A. Grenell, MdB Oliver Grundmann (CDU), GF Manfred Schubert, Staatssekretäre Thomas Bareiß und Enak Ferlemann (beide CDU) im Berliner Allianz Forum mit Förderantrag im Oktober 2018 (Quelle Facebook Oliver Grundmann)
Hiesige Energiepolitik in ihrem Sinne zu beeinflussen versuchen die Amerikaner auch durch Lobbyismus. Dies zeigte sich beim jüngsten Gas-Forum der EU-Kommission im Oktober in Madrid. Auf der Veranstaltung, von der wichtige Entscheidungen über Regulierungspfade für den Gassektor ausgehen, präsentierte die Lobbyorganisation Gas Infrastructure Europe (GIE) eine Studie, die unter anderem für eine „sorgfältige Prüfung der Regulierung der Netztarife“ plädierte. GIE vetritt die Interessen von 70 Gasinfrastruktur-Unternehmen aus 26 Ländern. Mitautorin der GIE-Studie ist die US-Rechtsanwaltskanzlei Baker Botts mit Sitz im texanischen Housten. Zu deren Mandanten zählen die größten amerikanischen Öl- und Gaskonzerne.
BakerBotts sponsorte auch den „World LNG Summit 2020“, der Anfang Dezember virtuell im Internet stattfand. Zu den Sponsoren des wichtigsten Treffens der LNG-Branche zählte auch der Hanseatic Energy Hub. Im Gegenzug durften die Hamburger einen Workshop veranstalten. Thema: „Angebot von Zugangsmöglichkeiten zu Europa über unser LNG-Terminal in Deutschland“.
Auszug aus einem Text, der völlständig in "neue energie" 1/2021 publiziert ist.
Titelbild: LNG-Tanker Arctic Princess vor Hammerfest (Wikimedia Joachim Kohler, Bremen)
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